Tiefenstaffelung: Wie ihr euren Mix zum Leben erweckt

April 2, 2017 | How-to

Alles im Kasten? Alles fertig abgemischt? Und trotzdem klingt der Song irgendwie flach? Meistens fehlt es dem Track dann an der nötigen „Tiefe“: Mit der richtigen Tiefenstaffelung erweckst du jeden Mix zum Leben und machst aus einer guten Produktion eine hervorragende.

Inhalt:

Flach wie eine Flunder

Ihr kennt das sicher: Der Track ist soweit fertig gemischt, der Mix klingt aber eindimensional. Alle Instrumente scheinen aus einer Ebene zu kommen und überdecken einander. Das hat oft einen einfachen Grund: fehlende Tiefe im Mix. In der Realität trifft der Schall nämlich aus allen Richtungen auf unsere Ohren und nicht nur aus zwei Lautsprechern. Wir sind es gewohnt, dass uns in der Natur Klang einen räumlichen Eindruck vermittelt. In der Praxis wirken wir hier mit den Methoden der Tiefenstaffelung entgegen.

Rockband auf Bühne

Im Mix kann es recht schnell eng werden – oder ist es bloß eine Frage der Perspektive?

Mehr Tiefe

Die Wiedergabe über Lautsprecher folgt eigenen Regeln. So kann auch ein „simpler“ Stereomix beim Hörer den Eindruck von Tiefe erzeugen. Für einen lebendigen Mix ist es unentbehrlich, jedem Instrument seinen eigenen Platz zuzuweisen. Gelingt das, hat es zur Folge, dass sich der Hörer in den Mix hineingezogen fühlt. Der Hörer hat das Gefühl, „mittendrin statt nur dabei“ zu sein. Und dazu ist es wichtig, das Phänomen der Tiefenstaffelung zu verstehen.

Das Mix-Konzept: Gut geplant, ist halb gewonnen

Damit Tiefenstaffelung für den gesamten Mix gut funktioniert, ist es maßgebend, sich so früh wie möglich ein Konzept für die räumliche Aufteilung zu erstellen. Erst durch die Relation der Instrumente zueinander, kann sich eine räumliche Wirkung voll entfalten. Und nur durch genaue Planung wissen wir, welche Informationen wir einem Sound mitgeben müssen, damit der Richtungseindruck plausibel ist.

Alle Parameter sollten im Idealfall das Gleiche aussagen. Bedeutet: Eine schlüssige Distanz und Richtung ergeben sich für den Hörer nur dann, wenn die Lautstärke, das Spektrum und in die Rauminformation dasselbe aussagen.

PRO TIPP Zuerst planen, dann mischen!

Zu einem räumlichen Mix-Konzept gibt es zwei grundverschiedene Zugänge:

  • Abbildung einer realistischen Konstellation im Raum: Zum Beispiel bei Orchesteraufnahmen
  • künstliche Raumkonstellation kommen oft bei Pop- und Rockproduktionen vor

Hier ein Beispiel, wie das Konzept für eine eher realistische Abbildung einer typischen Bandformation aussehen könnte:

spatial mixing with eq panning and reverb (Tiefenstaffelung)

Uns beschäftigt in diesem Beitrag vor allem die y-Achse (rote Linie), also die Tiefenstaffelung in der Praxis.

Und so funktioniert Tiefenstaffelung und räumliches Hören

Räumlicher Eindruck im Allgemeinen, räumliche Tiefe im Speziellen, entsteht, indem der Hörer schlüssige Informationen über die Position jeder einzelnen Schallquelle erhält.

In der Natur helfen uns die folgenden Informationen über ein Schallereignis, seine Quelle lokalisieren zu können:

  • Schalldruckpegel (Lautstärke): Schall verliert umso mehr an Kraft, desto größer die Entfernung ist, die er zurück legen muss.
  • Frequenzspektrum: Entfernung kann auch eine Veränderung des Frequenzspektrums zur Folge haben. Stichwort “Dissipation”.
  • Richtungsinformationen: Mithilfe der sogenannten Interauralen Pegeldifferenz (ILD, interaural level difference – wird durch Panning Poti gesteuert) und der Interauralen Zeitdifferenz (ITD, interaural time difference) unterscheidet unser Gehör, ob ein Klang von der rechten oder linken Seite kommt. Es handelt sich dabei um die Lautstärken- bzw. Zeitunterschiede, mit dem ein Signal an unseren Ohren eintrifft.
  • Rauminformation: Die Reflexionen eines Raumes – aufgeteilt in Frühe Reflexionen und diffuser Nachhall – sagen uns viel über die Position und Entfernung.

Hands-on Tiefenstaffelung

Wenn das Konzept steht, können wir uns an den eigentlichen Mix machen. Bevor wir mit der Tiefenstaffelung beginnen, setzen wir mit Lautstärkeregelung (Volume) und Gewichtung der einzelnen Spuren innerhalb des Frequenzspektrums (EQ) klare musikalische Prioritäten – im Idealfall sogar in Mono. Das räumliche Mischen kommt dann als Veredelung hinzu. Dabei gelingt Tiefenstaffelung mit folgenden drei Methoden:

PRO-TIPP: Baut euren Mix schrittweise auf. Also setzt im Spektrum gemeinsam mit der Lautstärke Prioritäten (Mono). Dann mit Stereobreite und Tiefenstaffelung veredeln.

1. Lautstärke

Die simpelste und wirksamste Methode, Tiefenstaffelung zu erzeugen, ist das Abmischen über die Lautstärke. Kurz: Leiser bedeutet weiter hinten, lauter weiter vorn. Ein ungefährer Richtwert hierbei: Mit der Verdoppelung der Entfernung nimmt der Schallpegel um 6dB ab. Knifflig: Wir nehmen Lautstärken in je nach Frequenzbereich sehr unterschiedlich wahr. Die selbe Änderung am Volumenregler kann abweichenden Höreindrücke hervorrufen.

2. EQing

Hohe Frequenzen werden auf Grund von Reibungsverlusten (Dissipation) stärker von der Luft gedämpft als tiefe Frequenzen. Tiefe Frequenzen können daher deutlich größere Entfernungen zurücklegen und werden weniger stark von der Luft absorbiert. Denkt nur an den klanglichen Unterschied zwischen entferntem, dumpfen Donnergrollen und einem Gewitter, das direkt über euren Köpfen tobt. Für die Praxis heißt das: Mit einer Absenkung der hohen Frequenzen rückt man den Klang weiter in den Hintergrund und umgekehrt.

Transienten (Attack) sind typischerweise breitbandig und besitzen mehr hochfrequente Anteile als der dazugehörige harmonische Klang (Sustain). So können Sounds mit einer Verminderung des Attacks weiter weg geschoben werden.

Der entropy:EQ+ von sonible kann gezielt die Attack-Anteile im Frequenzspektrum lokalisieren und nahtlos anheben oder abschwächen. Mit diesem vielseitigen Tool könnt ihr so eine Schallquelle in die Tiefe rücken oder weiter nach vorne holen, ohne die Lautstärke oder den Charakter des Sounds stark zu beeinflussen.

3. Nachhall und Raumanteile

Jene Reflexionen, die etwa 10-50 ms nach dem Direktschall auf unser Ohr treffen, beinhalten die meisten Informationen über die Beschaffenheit eines Raumes: Geometrie, Größe und Oberflächen. Mit der wachsenden Entfernung zur Schallquelle in einem bestimmten Raum verringert sich im Verhältnis der Abstand zwischen Direktschall und Frühen Reflexionen. Alles, was danach kommt, also der Nachhall selbst, sorgt für eine angenehme Einbettung des Klangs bzw. des Zuhörers. Frühe Reflexionen und Nachhall müssen den selben Raum abbilden, sonst erhält unser Ohr zweideutige Informationen – Klarheit und Transparenz gehen verloren.

reverberation early and late reflection

PRO TIPP Mehr Hall bedeutet nicht automatisch größere Entfernung. Nutzt das Pre-Delay, um Entfernung einzustellen.

Neben den hier beschriebenen „klassischen“ Zugängen, bietet die digitale Domäne vollkommen neue Möglichkeiten. Mit dem proximity:EQ+ von sonible können Schallquellen nahtlos weiter weg geschoben oder näher heran gezogen werden. Das Plug-in detektiert die Raumanteile einer Aufnahme und kann diese stufenlos verstärken oder vermindern. Wie das in der Praxis funktioniert, zeigt euch dieses Tutorial zur Tiefenstaffelung:

PRO TIPP Nehmt zur Übung einen kurzen, am besten Transienten Sound und lasst ihn einmal von vorne nach hinten wandern. Gemeinsam mit dem Panning Effekt, kann man ihn sogar kreisen lassen.

Auch mit Stereoeffekten, wie Chorus kann man unterschiedliche Tiefeneindrücke erzeugen. Generell gilt, je breiter ein Sound, desto weiter weg ist er und umgekehrt. Am besten ausgiebig experimentieren und Erfahrungen sammeln…

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